Fristlose Kündigung beim Linsenhöker – MC 1997

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Ich habe ja noch gar nicht darüber gesprochen, wie ich 1998 einmal fristlos entlassen wurde. Auch heute noch – 12 Jahren später – stelle ich fest, dass es sich in dieser Angelegenheit um eine der größten Ungerechtigkeiten, eigentlich die größte Demütigung handelte, die mir im bisherigen Leben wiederfuhr. Ich erinnere mich, auch Jahre nach dieser Sache noch die gleiche Wut empfunden zu haben, wie am Tag der Kündigung. Und wenn ich in meinem Leben nur einmal Jemadem vorsetzlich körperlichen Schaden hätte zugefügen wollen, dann meinen beiden Vorgesetzte von damals – da hat wirklich nicht viel gefehlt. Der Reihe nach.

Ich arbeitete ab 1997 für einen Kontaktlinsen-Versandhandel. Ich wurde als sechster Mitarbeiter eingestellt, fing in der Buchhaltung und im Kundenservice an, landete schließlich im Einkauf, welchen ich bis zu meiner Kündigung im Herbst 1998 alleine schmiss. Die Kontaktlinsen, die als Jahreslinsen verkauft wurden, waren hauchdünne Monatslinsen, die in Israel produziert und bestellt wurden. Sie kosteten im Einkauf irgendwas bei 1,25DM, verkauft wurde das Paar im Paket zusammen mit einer Flasche Reinigungslösung für 58DM. Mein damaliger Chef, nennen wir ihn Sven Koth, war ein gewiefter Typ. Er wusste genau, dass doofe Menschen glauben, was in der Zeitung steht. Und auch, dass noch Dööfere (ich weiß) sich von Fernsehwerbung beeinflussen lassen – und genau das war seine Zielgruppe. Jahreslinsen waren seinerzeit wesentlich teurer, immerhin mussten diese vom Fachmann angepasst und zumeist als Sonderanfertigung bestellt werden. Anders war das natürlich bei den Israel-Viechern: die waren so dünn, die passten sich fast jedem Auge an. Zur Not hatte man halt zwei verschiedene Krümmungen. Die Retourenquote lang bei 40-50%, aber Koth wusste auch da vorzubeugen: bereits geöffnete Linsen wurden als Reklamation einfach nicht akzeptiert! Wie der Kunde denn nun testen können würde, ob die Kontaktlinse auch für sein Auge geeignet war, bereitete nicht nur mir so manche schlaflose Nacht.

Markenlinsen wurden ausschließlich telefonisch bei einem halbseidenen Kontaktmann namens Pascal bestellt, der in Kanada lebte und offensichtlich Beziehungen zur hiesigen Linsenmafia besaß. Aufgrund der Zeitverschiebung erreichte man Pascal selten und so kam es, dass nicht wenige Kunden monatelang auf ihre Bestellungen warten mussten. Die Hersteller selbst belieferten uns nicht, der Versandhandel mit Discount-Linsen ohne Anpassungsmöglichkeiten und medizinischer Beratung erschien ihnen zurecht als dubios. Aber das Geschäfft brummte. Täglich verliessen bis zu 300 Bestellungen das Lager. Muddern Schrowange konnte als Testimonial geworben werden und wenn man einer Frau in Deutschland jemals uneingeschränktes Vertrauen schenken konnte, dann ja wohl der. „Bestellen Sie noch heute – nur 58DM für ein Paar Qualitäts-Jahreslinsen und einer Flasche Kombilösung!“. Quälität my ass, nicht eine Linse hielt bei täglicher Anwendung länger als 10 Wochen. Aber reklamieren ging ja nicht.

Koth war nicht häufig im Büro. Er liess beraten, packen, Rechnungen abheften und ordnete Überstunden an, wie ihm gerade der Hut stand. Am Abend schaute er sich den Tagesumsatz an, schloss dabei die Türe seines Büros und onanierte, was jetzt nur eine Vermutung meinerseits ist, bestimmt aber so zutraf. Was seine Erscheinung als Autoritätsperson betraf, war er trotz geschäftlicher Raffinesse mehr so der Typ eurasische Zwerglaus. Eine Mischung aus Mark Zuckerberg und Mr. Burns (optisch übrigens zu 97% zutreffend, Ende der 90er jedoch noch etwas mehr Haar). Er brauchte also Jemanden, der die Leute noch etwas mehr an der kurzen Leine hielt, noch gröber schikanierte und besser unter Druck setzen konnte, als er es selbst umzusetzen vermochte. Es kam Markus Sumpfschreier, der neue Betriebsleiter – das Dreamteam war somit perfekt.

Sumpfschreier brauchte ein wenig, was Respekterarbeitung betraf. Als er nach zwei oder drei Monaten die Leute soweit im Griff hatte, ging es los: unbezahlte Überstunden am Wochenende, Verweigerung sozialer Freitage, verbale Diffamierung einzelner Mitarbeiter vor versammelter Mannschaft, Verletzung einfachster, ästhetischer Grundregeln. Den letzten Punkt habe ich mir ausgedacht, aber ganz ehrlich: der Typ sah aus wie das letzte Opfer eines cholerischen Sumoringers, der in seiner Kindheit miterleben musste, wie man seine brennenden Eltern vor ihrer Vierteilung einer Horde unterernährter Flachland-Anoas vorwarf. Er hätte die hässlichere Schwester von Shane McGowan sein können, der man bei einer Nasenscheidewand-Korrektur versehentlich einen Aschenbecher in die Fresse wob. Eine optische Zumutung, eigentlich hätte er mir jedes Mal 10 Mark Schmerzensgeld in die Hand drücken müssen, bevor er mit mir sprach. Habe das allerdings innerhalb meiner Probezeit nicht thematisiert.
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[Fortsetzung folgt!]

Kommentare

28 Antworten zu “Fristlose Kündigung beim Linsenhöker – MC 1997”

  1. honki sagt:

    Argh, Cliffhanger! Ich bin ja mal gespannt wie dann der Part mit der vorsetzlichen Körperverletzung beginnt ;)

  2. Marcel sagt:

    Will.. weiter lesen… jetzt… sofort… hopp hopp!

  3. MC Winkel sagt:

    @honki: Zurecht! :)
    @Marcel: … hab’s gerade komplett runtergeschrieben, kein Witz – die Wut sitzt noch tief. Auch wenn das hier in Teilen lustig klingt (was natürlich gewollt ist! :)) – ich bin auch nach 12 Jahren noch nicht fertig mit den Leuten…

  4. Perot sagt:

    Heilig’s Blechle – ich trage auch Kontaktlinsen! Heute gelegentlich Monatslinsen, vor ein paar Jahren noch Jahreslinsen. Ich hoffe nicht, dass Burns‘ Fakelinsen dabei waren. Einmal habe ich ein Paar Monatslinsen entgegen dem Ratschlag der Packungsbeilage aus Geiz über mehrere Monate hinweg getragen – und bekam einen fiesen Infekt davon, aufgrund dessen ich eine Woche von Bildschirmarbeit und somit meiner Arbeit ansich befreit wurde, weil mich – ich scherze nicht – der Bildschirm regelrecht blendete.

    [Off topic: Eine Steuererklärung (verspätet) bis in die Puppen auf dem Notebook zu machen, treibt mir auch die Tränen in die Augen – was für eine fade, abartige, nervenaufreibende Zeitverschwendung! Als Betthupferl gebe ich mir eine Dosis Whudat. ;-)]

  5. SimonPhoenix sagt:

    man merkt sofort das du das ganze „Thema“ gut verarbeitet hast ;-) solche Ereignisse kommen mir bekannt vor, ich bin aber eher der „Sachbeschädigungs-Typ-weil-die-Nase-brechen-auffällt-und-zudem-noch-teuer-ist“. Lieber Sand/Zucker in den Tank oder die typische Mafiamethode und einfach nur die Haustür mit einem roten X makieren :-p

    genug der Tipps, ich freue mich auf die Fortsetzung…

  6. feronia sagt:

    Immerhin die Werbefigur haben Sie geändert…

  7. jaber sagt:

    ..fängt ja schon mal gut an, aber grad, wenns spannend wird, abzubrechen, ist fies.
    Ich glaub, Wut über ungerechte Behandlung bleibt stecken, da kann man nix machen. Schlechte Leute kriegen ihre gerechte Strafe irgendwann sowieso.

  8. Kaal sagt:

    Und ich dachte immer, Koths onanieren nicht sondern haben blondierte Sekretärinnen die das erledigen und am Ende sagen: „Kann doch jedem mal passieren Schatzi. Hab ich dir von den schönen Ohrringen erzählt die ich heute Nachmittag gesehen hab?“

  9. Toby sagt:

    Fortsetzung wird herbeigesehnt :) So Sumpfschreier mag ich gar nich, alter!

  10. o, das kann ich bestens verstehen, daß die wut noch da ist.
    gut für dich, daß du’s aufschreibst!
    weg damit, raus aus dem system!

  11. Perot sagt:

    Nee, ne?! Muss ich jetzt bis Mitternacht auf die Fortsetzung warten?

  12. tyce sagt:

    Es ist einfach so. Ganz schlimme Dinge vergisst man nie. Das kann ich nachvollziehen. Komisch nur das du damals nie so krass über diese Firma gesprochen hast. Ja, mal n paar Sprüche über den Chef, aber ansonsten war alles Klar. Oder irre ich mich da? Kann auch sein.
    Ich habe sonst meine Wut über Johnsen in Meldorf immer Kund getan. Bei euch war immer alles Top. Bestbezahlt. Nix zu meckern…

  13. denzel sagt:

    der ins gesicht gewobene aschenbecher ist mal wieder epic, emser! LOL

  14. Timm sagt:

    Was mich an dem Laden v.a. wundert:
    Die behaupten, dass sie einer der größten Linsenversender Europas sind. Allerdings sind die Preise wirklich arg überhöht (meine Sorte kostet 75% mehr als bei meinem Händler). Die verkaufen wahrscheinlich direkt zum Listenpreis und es gibt genug Doofe, die dort bestellen. Jeder Optiker um die Ecke bietet bessere Preise, weil die auch schon gemerkt haben, dass sie die Preise der Internethändler im Ansatz mitgehen müssen.

    Sollte es tatsächlich die Werbung mit „Prominenten“ sein, die den Erfolg ausmacht?

  15. singhiozzo sagt:

    Ich hatte fest damit gerechnet, dass die Auflösung für das getwitterte Heimwerkerbild kommt. Bitte nachliefern!

  16. Erdge Schoss sagt:

    So ein Zufall, werter Herr Winkelsen,

    bei Koth & Sumpfschreier habe ich mich auch mal beworben.

    Herzlich
    Ihr Voll Gelogen

  17. MHW sagt:

    Sven Koth! HAHAHAHA :)
    Aldär, nich über Shane Mc Gowan lustig machen, sonst gibts keine Ferary!!!!

  18. Markus Jordan sagt:

    Warum hab ich jetzt grad 30 Sekunden gebraucht, um rauszubekommen, welche Firma das in Kiel war? :)

  19. Sumit sagt:

    Fortsetzung! JÄTZT!
    Könnte die Nennung der Firma eigentlich strafbar sein?

  20. loverk89 sagt:

    Das bild ist cool, saß er auch immer hinter dem Schreibtisch und sagte ausgezeichnet :)

  21. MC Winkel sagt:

    @Perot: Das will ich auch hoffen. Möchte nicht wissen, wieviele Menschen sich damals aktiv „gegen“ Kontaktlinsen entschieden haben, weil es soviele Probleme mit den Viechern gab…
    @SimonPhoenix: Das mit der Haustür hab ich mir mal notiert. :)
    @feronia: Stimmt, jetzt macht es die Kraus. Der vertraue ich z.B. noch viiieeel mehr! :)
    @jaber: Das will man hoffen. Aber ja, diese Sache war einfach zu viel für einen Classic-Emser-Text mit 500 Worten. :)
    @Kaal: Naja, das wären dann die, die’s auch halbwegs drauf hatte. Koth war halt mehr so der … Wichser. :)
    @Toby: Über den könnte ich noch 1000e Beiträge schreiben. Aber irgendwie ist er’s auch nicht wert! :)
    @gesche clasen: :)) … mal sehen, ob’s hilft. So eine Restwut tät‘ ich aber auch ganz gern noch behalten – hin und wieder braucht man sie. :)
    @Perot: Ich vermute: Ja! :)

  22. MC Winkel sagt:

    @tyce: Naja, hab‘ ich sicherlich mal gemacht. Aber kennst mich ja, bin halt nicht so der Beschwerer-Typ. Das Leben ist zu kurz um immer nur zu jammern…
    @denzel: aight?! :)
    @Timm: Was ich schrieb: die Leute glauben, wenn das „billigbillig“ drüber steht. Und ja, das Celebrity(naja, schrowange halt)-Testimonial erledigt den Rest. Ist doch immer so. Madonna wird mit Ed Hardy gesehen und plötzlich kostet so ein beschissenes Shirt 300€…
    @singhiozzo: Neee, wen interessieren Handwerks-Stories… :) Aber wenn Du’s wissen willst: ein Bandkollege zieht um, haben am WE das Haus entfliest, quasi. Das da auf dem Bild wird das neue Studio – mit Extra-Gesangskabine und Fenster in diese! :)
    @Erdge Schoss: Überqualifikation, Herr Schoss, oder warum scheiterte es?
    @MHW: Für Shane hab ich extra nochmal die alten Mails von Dir rausgesucht, Dicker! :) Das Video! OMG!!! AHAHAHHAHA…
    @Markus Jordan: Weil heute Montag ist und Du vermutlich deshalb so langsam bist! :)
    @Sumit: Mag sein. Aber das hier ist ja eh alles erfunden und Satire und hat mit ähnlichen Begebenheiten im real-life NICHTS zu tun! :)
    @loverk89: … habe ich so nie mitbekommen. Vermutlich aber beim Onanieren schon! :)

  23. Donna sagt:

    Sind Flachland-Anoas eigentlich Wiederkäuer, Herr Winkelsen? ;o)

  24. Rakaniaz sagt:

    Für Geld hast du auch alles gemacht. Verständlich. Tun wir das nicht alle? ;)

  25. FelixN sagt:

    „Vom Faulinser zum Faulancer – Das Leben des MC W. aus K.“

  26. 500beine sagt:

    „Aus Versehen“ einen Aschenbecher in die Fresse einweben, DAS muss man erstmal hinkriegen. Respekt!
    By the way:
    mit nem brennenden Kippenstummel drin??

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