Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht

Neulich besuchte mich ein Freund aus den USA, er war auf einer Veranstaltung in Hamburg und wollte am nächsten Tag mit einem Mietwagen bei mir in Kiel vorbeikommen. Auf der Autobahn gäbe es streckenweise schließlich keine Speedlimits, das wolle er unbedingt einmal ausprobieren, was er offensichtlich sehr genoss. Er würde die Autobahn lieben, auch die Hamburger Frauen hätten es ihm angetan und jetzt wolle er unbedingt mehr über unsere Kultur erfahren. Er bat mich, ihn in die deutsche Musiklandschaft einzuweihen, was ich natürlich abzuwenden versuchte. Ich erklärte, dass es in unseren aktuellen Album-Charts ein paar extreme Ausrutscher gäbe, die ich ihm lieber nicht zeigen wollen würde. „Maaayne, we got country. What could be worse?!“. Gut, wenn er es nicht anders will, „Look at this, we call it Schlager. This is Helene Fischer.“.

Er guckte sich das Video aufmerksam an und ich merkte, wie seine Mundwinkel nach unten rutschten und er sukzessive blasser wurde. Er fragte, um was es in diesem Song gehen würde und ich erklärte, dass Schlagermusik inhaltlich so banal sei wie rektale Hülsenfrüchte, an sich könnte der jeweilige Interpret auch das Alphabet nachsingen, was meines Erachtens bisher nur noch nicht stattgefunden hat, weil nicht ein Vertreter dieses Genres es beherrschen würde. Er sagte, die Frau aus dem Video würde ihn an eine Laiendarstellerin aus einem Softbukkake-Streifen aus Litauen erinnern, den er jüngst sah und er fragte, ob diese angemilfte Muchte verheiratet sei. Ich zeigte ihm ein Bild von Florian Silbereisen und er gab zu verstehen, jetzt auch die Sache mit der rektalen Hülsenfrucht verstanden zu haben. Unter Tränen bat er mich, das Video schnellstmöglich zu beenden, mit so viel niederträchtiger Respektlosigkeit dem Konsumenten gegenüber hätte er wirklich nicht gerechnet. Er würde lieber fünf Onecups aus dem Twogirls-Clip durch die Nase trinken, als noch eine Sekunde weiter zugucken zu müssen. Ich nickte verständnisvoll und löschte meinen Cache.

Am Abend fand in Kiel noch ein Volksfest statt, was ich ihm ebenfalls nicht zwingend zeigen wollte. Ich erklärte, dass es bei solcherlei Veranstaltungen nur um Bier und Wurst ginge, die Leute würden am frühen Nachmittag bereits mit dem Saufen beginnen, um sich später bei schlechter Musik in den Armen zu liegen und sich einander Sympathien vorzulügen. „What about your local music scene, are there any bands playing tonight?“, „Well, there are, but you probably don’t wanna s“, „No no, all cool, let’s go there!“. Ich erklärte ihm, dass die Häufigkeit und die Qualität der deutschen Top40-Bands mit der Größe und der Lage der jeweiligen Stadt zu tun haben würde. Je kleiner und je nördlicher die Stadt, umso schlimmer. „Is this Helene Fischer again?“, fragte er mich, als wir das Fest an der Kieler Förde erreichten. „No, this is a Kim Wilde-Coverband, they’re quite popular in this area.“. Er war fassungslos und kotze mir ins Ohr, was uns beide erleichterte.

In einer lokalen Wirtsstube stellte ich ihm dann noch ein paar unserer kulinarischen Spezialitäten vor. Es gab gepökeltes Eisbein, Kassler mit Sauerkraut, Schweinskopfsülze und Grünkohl mit Senf und grober Dreckstückwurst. Auch wenn sein Magen nach dem Erbrechen nun leer sei, so würde er all diese Gerichte doch lieber skippen und sich im nahegelegenen Palais D’Amour ein paar Onecups abfüllen lassen, zum Mitnehmen. Das sei vielleicht nicht ganz so nahrhaft, würde aber wenigstens besser riechen. Und Lowcarb sei es auch noch.

Zurück in meinem Apartment gab er zu verstehen, er würde jetzt gerne etwas Fernsehen. Er hätte Lust auf eine Serie, sei großer Fan von „The Wire“ oder „Breaking Bad“ und fragte, ob wir in Deutschland nicht ähnlich gute Serien produzieren würde. Wir chillten auf der Couch, er schlürfte seine Onecups und ich schaltete den Tatort ein. „Who’s that little motherfucker, is this the cop? Why isn’t he opening his mouth while speaking?“. Ich hatte erneut keine Antwort, erklärte es aber aus einer Not heraus mit der Behindertenquote, die es im deutschen Fernsehen einzuhalten gülte gölte gälte. Versehentlich erzählte ich ihm zudem, dass dieser Typ ein in Deutschland sehr beliebter Filmproduzent sei, dessen Kinofilme regelmäßig die größten Kassenschlager werden würden. Auf Rückfrage streamte ich ihm ein paar Sequenzen aus KoKoKeinOhrKackfick, was er sich ohne jegliche Mimik zwei, vielleicht drei Minuten anguckte. Dann bat er mich, sofort auszuschalten und haute mir gleichzeitig mit beiden Fäusten, den Ellenbogen, seinen Knien und den Schienenbeinen mächtig ein paar in die Fresse. Ich zeigte mich verständnisvoll, bat ihn dennoch, nicht alles direkt auf mich persönlich zu beziehen. Ich gab zu bedenken, dass es hierzulande jetzt nicht aus jeder Ecke an Fantasie und Kreativität nur so sprudeln würde, die Deutschen seien da eher … zurückhaltend. In Teilen des Landes hielte man sich an das Sprichwort „Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht“, daher könnte unsere Mainstream-Kultur für den modernen Mann aus zivilisierteren Ländern unter Umständen etwas befremdlich wirken. Er stand in gebeugter Haltung über mir, der ich in meiner eigenen Lache aus Blut, Knochenstückchen und Onecup-Becherbodenkrümelchen lag und fragte, was ich denn bitteschön noch hier zu suchen hätte. Ich sagte, ich wüsste es nicht genau, wies aber auch nochmal auf die Autobahn-Situation hin.
2017.

Kommentare

3 Antworten zu “Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht”

  1. Robert Friese sagt:

    endlich schreibst du wieder… dat is Splendid! …fünf onecups ausm twogirls-clip ;-))))

  2. Denzel sagt:

    I guess you got you beast back! ^^

  3. Chillkrötchen sagt:

    Les ich jetzt erst … lag schon nach den ersten beiden Absätzen am Boden, super!

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