Brandee Younger – „Brand New Life“: Ein Tribut an Dorothy Ashby und die Auferstehung des Jazz-Harfen-Genres
Die Gemeinschaft der genreübergreifenden Harfenisten ist klein. Wenige haben die Kühnheit, sich mit dem massiven, aber delikaten Instrument auseinanderzusetzen. Und diejenigen, die es wagen, müssen mit seiner Tendenz kämpfen, in den Hintergrund zu treten. Doch diejenigen, die die Harfe aus dem klassischen Kontext herausgeholt haben, können oft ihre Wurzeln bis zu Dorothy Ashby zurückverfolgen. Die Pionier-Harfenistin aus Detroit legte mit ihrem Album „Afro-Harping“ von 1968 den Grundstein für die Rolle des Instruments im Post-Bop-Jazz. Brandee Younger (wiki) verkörpert dieses Erbe auf beeindruckende Weise, hier ist ihr neues Album „Brand New Life“.
Dorothy Ashby als Vorbild
Brandee Youngers Karriere spiegelt in vielerlei Hinsicht die von Ashby wider. Beide testeten die Grenzen der Harfe aus, verwischten die Grenzen der Genres und etablierten das Instrument kraftvoll als führende Rolle im zeitgenössischen Jazz. Beide wurden auch zur Harfenistin ihrer Ära für Popmusiker (Bill Withers, Minnie Riperton und Stevie Wonder für Ashby; Beyoncé, Lauryn Hill und John Legend für Younger). Younger hatte immerhin Ashby und Alice Coltrane als Vorbilder für eine schwarze Frau, die die Möglichkeiten eines klassischen Instruments neu definiert. Wohingegen Ashby sich ihren eigenen Weg bahnen musste. Zu einer Zeit, als die Bürgerrechtsbewegung für Nicht-Weiße gerade erst an Fahrt aufnahm. „Brand New Life“ ist somit Youngers Hommage an Ashbys Leistungen und Erfolge.
Brandee Younger Brand New Life – Track-Auswahl und Transformationen
Die meisten Stücke auf „Brand New Life“ wurden ursprünglich von Ashby geschrieben oder aufgeführt, darunter Stevie Wonders „If It’s Magic“. Eine der ersten Begegnungen von Younger mit Ashbys Spiel, bevor sie überhaupt wusste, wer sie war. Younger hat die einzigartige Ehre, Ashbys „You’re a Girl for One Man Only“ aufzunehmen. Eine schimmernde Ballade, unterbrochen von Makaya McCravens lockeren, luftigen Percussions. Sie verwandelt Ashbys „Dust“ – komponiert und aufgenommen für „The Rubáiyát of Dorothy Ashby“, eine 1968er Erforschung der japanischen Koto – in einen mitreißenden Easy-Listening-Dub-Groove mit Hilfe von Meshell Ndegeocello. „Running Games“ und „Livin‘ and Lovin‘ in My Own Way“ liefern den klarsten Beweis für Ashbys direkten Einfluss auf Younger, indem sie ihre Originalkompositionen mit einem modernen Standpunkt neu interpretieren, der nur durch die wegweisende Präsenz der Älteren möglich ist.
Youngers Einfluss und Technik
Younger sagt, dass die Erstellung des Albums „ein lebenslanger Traum“ war, den sie erst jetzt für machbar hielt. Doch „Brand New Life“ formalisiert lediglich einen Einfluss auf ihre Arbeit, der schon lange offensichtlich war. Youngers makellose Technik ermöglicht eine Bewegungsfreiheit, die ihrer Harfe eine vokale Qualität verleiht. Sei es beim Führen einer Komposition oder im Gespräch mit einer Gastsängerin, wie z.B. Mumu Fresh („Brand New Life“). Sie führt komplexe Arpeggios aus, die auf einem anderen Instrument schwierig oder unmöglich wären. Gelegentlich nehmen ihre Zupf- und perkussiven Schläge Qualitäten einer Gitarre oder eines Klaviers an und schöpfen aus Ashbys tiefem Verständnis für das Design der Harfe.
Die faszinierende Verbindung zwischen Ashby, Hip-Hop und zeitgenössischem Jazz
Die faszinierendsten Momente auf „Brand New Life“ liegen in dem generationenübergreifenden Dialog zwischen Ashby, Hip-Hop und zeitgenössischem Jazz. Ashbys Werk wurde hunderte Male von Produzenten gesampelt, die von ihrer Einbindung von Funk und Soul in den Post-Bop-Jazz angezogen wurden. Insbesondere „Afro-Harping“ taucht in Aufnahmen von GZA, 9th Wonder, Mac Miller und Flying Lotus auf. Die Beiträge von Pete Rock und 9th Wonder zu „Brand New Life“ tun mehr als nur den Kreis der Inspiration zu schließen; sie fügen eine Textur zu einer Rückkopplungsschleife hinzu, die mit jeder neuen Interpretation reicher wird.
Fazit
Das Ergebnis ist ein Album, das sich wie Adult-Contemporary-Hip-Hop liest; auf eine gute Art. Eine Musik, die von der Freude der Entdeckung und der gemeinsamen Liebe zu einer Künstlerin getrieben wird, deren Werk über Generationen hinweg im Gespräch geblieben ist. Viele Post-Bop-Jazz-Alben suchen Inspiration in Standards, aber nur wenige hauchen dem ererbten Erbe so viel Leben ein. „Brand New Life“ ist nicht nur eine Hommage an Dorothy Ashby, sondern auch eine erfrischende Neuerfindung des Jazz-Harfen-Genres durch Brandee Younger.