Reminiszenz: Die Dosenfabrik und der Doppel-Mofaritt

Rückblickend war das vermutlich die schönste Zeit im Leben, es lief auf so vielen Ebenen perfekt. Keine Existenzängste, weil man bei Muddi lebte, hungrig auf das ganze Leben, was noch vor einem lag und durstig sowieso. Aber in Maßen durstig, weil man die Grenze zwischen angenehm einen im Schuh haben und einem zwanghaften Speireiz noch nicht final ausloten konnte und somit auch mal vier Biere reichten, um einen guten Abend zu haben. Na gut, fünf.

Wir waren 16 Jahre alt, saßen in Markus‘ großzügigem Kinder-Kellerzimmer fernab seiner Eltern, tranken Paderborner für 39 Pfennig die Dose und guckten „Ein Fall für Zwei“. Ich glaube, zu der Zeit fand man Josef Matula sogar noch cool, obwohl bis heute nicht geklärt wurde, was zwischen ihm und Dr. Renz wirklich lief, die waren ja eigentlich immer ganz süß zueinander. Aber geile Lederjacke und Billard pieksen konnte er auch. Nach der Ausstrahlung und dem Ende der letzten Paderborner-Dose verspürte ich erstmals in meinem Leben eine auch heute noch innewohnende Feier-Rastlosigkeit und sagte den Satz, den man an jedem Freitag um 14.30h aus sämtlichen Versicherungsbüros der Welt hört: „Lass uns zum Puff runter und noch ein Bier trinken!“. Bullseye! Markus‘ Augen funkelten wie Friedhelms bei Auswärtssiegen, so ein Angebot abzulehnen fällt schwerer als einbeinige Epileptiker auf öligen Drahtseilen im Auge eines Wirbelsturmes.

„Auf jeden Fall! Nur, … äh, wie? Und wieviel Geld haben wir insgesamt?“. Auch ein großer Vorteil: mit 16 hat man noch weniger Kohle im Kopf als ein Schneemann – man macht einfach, irgendwie klappt das schon. Wir kratzten unsere letzten Groschen zuzsammen: eine Mark Siebzig. „Lil‘ MC, das reicht doch! Wir fahren mit meiner Mofa und holen uns das Bier aus dem Automaten in der Dosenfabrik!“. Die Dosenfabrik war eine Spielothek direkt zwischen dem Eros Center und dem Palais D’Amour, in der man in den 80ern noch rauchen und Bier trinken durfte, ein DAB aus dem Automaten kostete 80 Pfennig. Heute zahlt man in vergleichbaren Etablissements mindestens 15€, darf nicht rauchen und was da wirklich aus dem Zapfhahn kommt, möchte man nicht wissen. Fragt man dennoch nach, gibt’s Hausverbot und Kiezschelle – ich sag‘ ja, schön war das damals.

„Nur noch eine Sache, Markus: Du hast eine Mofa und einen Helm; ich zähl‘ gleich nochmal nach, aber ich glaube, wir sind zwei.“. „Macht doch nichts, fahren wir halt beide ohne Helm und mein Gepäckträger sollte groß genug für dich sein!“. War er. Die Hinfahrt verlief problemlos, wir schlichen über Geheim-, Flucht- und Waldwege von Kiel-Mettenhof Richtung Milieu, keine 20 Minuten später standen wir mit unseren Notgroschen am Dosenautomaten, das Pils war eiskalt und wir beide die härtesten Typen der Stadt, was in Kiel aber auch niemals wirklich schwer war. „Jetzt haben wir nur ein Problem, Lil‘ MC – ich könnte gut noch bei Lotus ein Toastbrot mit Ketchup essen. Das kostet 10 Pfennig und wir haben noch einen Groschen – ich zähl‘ gleich nochmal nach, aber ich glaube, wir sind zwei.“. „Vielleicht ist da gerade Happy Hour und er macht uns 2 Toasts mit Ketchup zum Preis von Einem!“, für zwei Minuten standen wir beide mit offenen Mündern von der Dosenfabrik und überlegten, wie groß wohl unsere Chancen wären. „Ja, lass ihn mal fragen!“. Lotus war ein Kiosk-Besitzer in einer Seitenstraße. Einer, der trotz Milieu, Bandenkriegen und Pferdewurst immer noch Mensch geblieben ist. Er gab uns die beiden Toastbrote zum Preis von Einem und machte die Nacht somit zu einer unvergesslichen – woran ich gestern freundlich erinnert wurde:

… daran konnte auch die Schupo nichts ändern, die auf dem Rückweg Höhe Skandinaviendamm die Verfolgung aufnahm. Wir flüchteten in den Wald und wurden bis heute nicht gefasst, wir waren die härtesten Typen der Stadt.

Kommentare

16 Antworten zu “Reminiszenz: Die Dosenfabrik und der Doppel-Mofaritt”

  1. Tob sagt:

    Große Klasse.

  2. Addliss sagt:

    … so ein Angebot abzulehnen fällt schwerer als einbeinige Epileptiker auf öligen Drahtseilen im Auge eines Wirbelsturmes.

    EPIC! :D (auch wenn es im Auge des Wirbelsturms genau genommen windstill ist und das keine weitere Verschlechterung des einbeinigen Epileptikers darstellt. ;-) )

  3. einfach nur geil, die GUTE Dosenfabrik, Freddy Quinn aus der Jukebox und ein Bierchen im Eingang……und man war zufrieden.so leicht ging das früher mal

  4. jens m. sagt:

    Ihr wart die geilste Gang der Stadt !

  5. „…Markus’ Augen funkelten wie Friedhelms bei Auswärtssiegen..“ gnihihihi

  6. singhiozzo sagt:

    So eine geile Story, vor allem wegen der Facebooknummer von Markus!

  7. bummi sagt:

    Schöne Story, auch wenn du den Fall-Vergleich leicht übertreibst :D

    btw: Heißt es nicht „das“ Mofa?

  8. MC Winkel sagt:

    @Tob: Danke. :)
    @Addliss: Da hast Du einen Schritt zu kurz gedacht: na klar ist es IM Auge windstill. Aber wo wird sich dann wohl das Drahtseil befinden, hm?! :))
    @Frank Gustas via Facebook: Wann war da so Deine Zeit? Eigentlich müsste man sich dort doch mal gesehen haben?! :))
    @jens m.: Die Pader Ruler haben Kiel zu dem geformt, was es heute ist! Tschuldigung nochmal. :)
    @Webdesign Kiel: Bei Aachen ist der Homie gerade, oder? :)
    @singhiozzo: Musste auch nochmal gebracht werden, eine der ersten Experiences des jungen MC. :)
    @bummi: Übertrieben? Wo? :) Und ja, grammatikalisch ist das sicher richtig, aber wir sagten „die“ (wg. „Maschine“, nehme ich an) und waren damit auch nicht die Einzigen…

  9. denzel sagt:

    toastbrot mit ketchup, isst man auch irgendwie viel zu selten. ^^
    wir haben auch die mofa gesagt.

  10. Perot sagt:

    Waren schöne Zeiten, als man sich für weniger als 5 DM spontan (hierauf liegt die Betonung) einen feucht-fröhlichen Abend mit Dosenbier und Chips in der Gartenhütte eines Freundes machen konnte – und es fehlte an nichts! Heute muss so etwas 6 Wochen im Voraus geplant werden, und dann sagen einen Tag vorher zwei Drittel der Leute ab – wegen Zeitmangel, wegen allgemeiner körperlicher Trägheit, wegen dem Theaterstück am nächsten Tag (das man auf keinen Fall verkatert besuchen will), oder weil man kurzfristig Urlaub genommen hat und den nächsten Tag „sinnvoll nutzen“ will, oder wegen, wegen, wegen – kurz: man sagt ab wegen Lustlosigkeit, die man aber nicht zugeben will – oder man sagt gar nicht ab, sondern erscheint einfach nicht.

    Zum Glück gibt es immer noch einen kleinen, wenn auch verschwindend geringen harten Kern, auf den man zählen kann.

    So wie auf Emsers Lil‘ MC-Storys! :-)

  11. die mofa ist irgendwie strange! :)

  12. MC Winkel sagt:

    @denzel: Und für einen Groschen… also da stimmte das Preis/Leistungsverhältnis noch! :)
    @Perot: Du sprichst mir aus der Seele. Dazu hör auch mal den hier: http://soundcloud.com/smooveundtight/deine-eltern Oder? Kennst das?
    @Vorstadtprinzessin: Aber Du kennst sie doch gar nicht?! :)

  13. Perot sagt:

    Dachte bei den ersten Takten zuerst, „Hoppla, ein BAS-Outtake“. Falsch gelegen. However – der Track bringt es auf den Punkt. Nice!

  14. […] Reminiszenz: Die Dosenfabrik und der Doppel-Mofaritt | whudat.de MC Winkel gibt mal wieder eine Story aus längst vergangenen Tagen zum Besten. Habe mich köstlich amüsiert. (…mit 16 hat man noch weniger Kohle im Kopf als ein Schneemann.) […]

  15. MHW sagt:

    schön.schön.schön. Und… YaMann…damals war es einen „ticken“ einfacher. Das Leben und so. Heute hat man nen lütten mehr um die Ohren. Da fällt mir tatsächlich erst 2 Tage später auf das Du diese wunderbare Anekdote gebracht hast :)
    cu

  16. Phil sagt:

    Wow, danke für die Story. Danke auch für den Link zu diesem EPIC Video. Das war in meiner Jugend gefühlt eines der wichtigsten, das musste jeder kennen, jeder den Spruch drauf haben.

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