Altweibersommer

Nun gibt es ja jede Menge Männer, die unheimlich viele Gefälligkeiten einsetzen, um – nennen wir das Kind beim Namen – irgendwie zum Vögeln zu geraten. Da werden Blumen gekauft, Komplimente gemacht, ganz hoffnungslose Fälle kaufen sogar Musical-Karten. Muss ich kurz sagen: Musicals sind wirklich das Allerletzte, eine Beleidigung an jedweden Unterhaltungs-Anspruch, geschmackloser als Eiswürfelsuppe. Was ich aber eigentlich erzählen wollte: es gibt auch einige, wenige Typen, die den Gefälligkeits-/Herumvögel-Algorithmus komplett umgedreht haben und sich eben durch das Herumvögeln Benefits verschaffen. Einer davon war Hansen. Er vögelte seine Friseurin und bekam jahrelang kostenlose Haarschnitte Haarschnitts Frisuren. Er vögelte Event-Tanten und Barkeeperinnen und kam auf jede Gästeliste, er vögelte die Assistentin seines Vermieters, die Mitarbeiterin im T-Punkt, einmal sogar eine Taxifahrerin. Das waren jetzt vielleicht nicht alles sooo die Supereinsen, dennoch kannte ich Keinen, der mehr vögelte und weniger Ausgaben hatte.

Es war im Herbst 1992, wir saßen wie so oft am Vorabend in einer Wartehalle am Bahnhof und tranken … Sekt. Muss man sich auch mal auf der Zunge zergehen lassen, wir saßen mit jeweils drei halben Holsten und einer Flasche Söhnlein Brilliant in unseren bunten Sakkos am Bahnhof. Wie unreflektiert konnte man nur jemals gewesen sein, wenn ich heute so einen wie mich damals sehen würde, ich würde mich bewusstlos lachen. Ein weiteres Problem war die Frage nach der upcoming Lokalität, ich hatte gerade Hausverbot in meinem Stammclub bekommen und hatte keine Ahnung, wo man die Nacht denn nun ausklingen lassen würde. „Lass‘ uns doch mal zu Gary!“, brach es aus Hansen heraus, der zwar grinste, es aber durchaus ernst meinte. Kieler wissen: das „Garys“ („Garys Tanztreff“) ist der schäbigste Altweibersommer südlich von Rieseby. Eine Anlaufstelle sämtlicher Milfhunter (damals noch „junger Mann mit Faible für die reifere Dame“) der Region, das Durchschnittsalter der Damen lag bei 45, das der Herren bei 19. „Ach Hansen, Mensch! Das riecht das da immer so nach schuppigen Ellenbogen und Halsfaltenlauge.“ gab ich zu bedenken. Hansen guckte mich an, ich ihn. Natürlich waren wir im Partnerlook unterwegs, nur dass er seinen Scheitel auf der anderen Seite trug. Mir wurde erneut die Erbärmlichkeit unseres Daseins bewusst und mir war klar, dass es viel schlimmer eigentlich nicht mehr kommen könnte. Also willigte ich ein, „Na gut, ins Garys. Aber nur heute und wenn’s Scheiße ist, hauen wir sofort wieder ab!“. „Natürlich, Lil‘ MC! Wir wollen uns doch amüsieren!“.

Was für ein Amusement. Meine Voruteile bestätigten sich nicht nur, der Laden war sogar noch schlechter als sein Ruf. Solarienmalträtierte Hängehaut wohin das Auge reichte, Altersflecken in der Größe Burmas und Hallux valgus auf jedem Barhocker. Und als wäre das nicht schon alles schlimm genug: Gary – der Inhaber, der seinerzeit noch selbst auflegte – spielte Dr. Alban und Henry Valentino im Wechsel. Dazu die erwartete Halsfaltenlauge, an diesem Abend in Begleitung einer sehr bissigen Zahnstein-Note und wenn mich nicht alles täuschen sollte, saß da vorne rechts Milli Biersen, eine ältere und zurecht seit Jahren alleinstehende Arbeitskollegin aus meinem damaligen Ausbildungsbetrieb. Ich hatte keine Wahl, ich musste mich ganz hinten an der Theke verstecken und schnell betrinken. „Was kostet so ein Holsten vom Fass?“, frug ich die Barkeeperin, die aussah wie die Mutter der späten Joan Jett. „Keine Sorge,“, entgegnete sie mir, „Dein Freund Hansen hat sich, sagen wir … gekümmert!“. Sie grinste offenmündig, in ihrem Kaugummi hatten sich ein paar Zigarettenkippen verfangen, aber war ja auch Vollmond. Ich lächelte nickend zurück und zeigte mit zwei Fingern, dass ich dann gerne drei Fassbiere hätte.

Hansen amüsierte sich parallel mit der Großtante seiner ehemaligen Klavierlehrerin, die 1946 als älteste Trümmerfrau Kiels in der lokalen Presse für Schlagzeilen sorgte. Er liess sich länger nicht bei mir an der Theke blicken und so gegen 4.00h Nachts machte ich mir Sorgen, den letzten Nachtbus noch zu bekommen. Ich verliess also nach knappen zwei Stunden zum ersten Mal meinen Barhocker, um Hansen zu suchen und den weiteren Verlauf des Abends zu besprechen. Dabei stolperte ich so unsanft über ein Beatmungsgerät am Boden, dass ich der Länge nach auf der leeren Tanzfläche landete, keine 10cm von Milli Biersens Schiefzehe entfernt. „Ah, El Schrägo schon wieder! Rotzevoll, guck‘ ihn sich einer an. Öfter hier?!“, „War das letzt Mal, versprochen!“. Wir fuhren dann mit Hansens Taxi-Bekanntschaft in den Mettenhofer Sonntagmorgen, complimentary. Am folgenden Montag hatte es sich im Betrieb wieder einmal herumgesprochen, nach der Sache mit dem Polizeihund fing man langsam an, sich Sorgen um meine Zukunft zu machen.
Ist aber nochmal gut gegangen, glaub‘ ich.

Kommentare

5 Antworten zu “Altweibersommer”

  1. dani sagt:

    Und jetz sind wir bald selbst alle beim Durchschnittsalter von 45 angekommen. Naja, fast. ;)

  2. Folker Mienkus sagt:

    Good one !!! Makes my Monday ;-)

  3. slavefriese sagt:

    Herrlich… noch „durcher“ als Garys in Kiel is eigentlich nur das Casimir am Walkerdamm

  4. eismeergarnele sagt:

    Uhh. Garys^^ Aber „Kasimir“ is auch nich ohne^^
    Gruß

  5. Ungeheuler sagt:

    hehe. coole story. so läden gibt es wohl in jeder stadt. in köln ist das das rhein roxy. ;-)

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