Aus „Der junge MC“: Meine erste Gerichtsverhandlung (Anekdote, Teil 2)
Siegessicher saß ich auf der rechten Seite auf einem leicht erhobenen Podest neben meinem Anwalt, mittig der Richter und mir gegenüber die Staatsanwaltschaft. Samt Bodyguards. Der erste Zeuge wurde gerufen, Christopher Hahn. Der aber leider … noch nicht da war. Zu spät. Peinlich. Aber egal, dann machen wir zunächst den Schümann, der auf die Frage, ob er bestätigen könne, dass der Riss wie von mir angegeben bereits Wochen vorher in der Scheibe zu sehen war, antwortete: „Keine Ahnung, wohl eher nicht. Ich mein‘, wer guckt denn auf die Scheiben wenn man feiern gehen will.“. Schönen Dank nochmal an dieser Stelle, Du Pfeifenreiniger. Und ohne jetzt näher darauf einzugehen: von Boschke kam exakt das Gleiche.
Dann war Christopher Hahn endlich da. Doof, dass die Verhandlung an einem Montag vormittag stattfand, nachdem Hahn das Wochenende durchgefeiert hatte. Außerdem entdeckte man in der Szene gerade „BlauWeiß“, das war der verniedlichende Kosename eines Opioids namens Valeron, mit welchem vereinzelt herumexperimentiert wurde. Unter anderem wohl auch in den letzten Stunden bei Hahn, der weiter neben sich stand als ein geklautes Gepäckstück. „Nun kommen sie, Herr Hahn, konzentrieren sie sich! Flog der Müllsackständer nun einfach um – oder in die Scheibe?“. „Ich sag‘ doch, ich weiß es nicht mehr. Ich hatte einfach zu viel getrunken, Herr Richter.“, der Richter guckte mich – inzwischen leicht erblasst und auch nicht mehr ganz so siegessicher – an, „Herr Winks, haben sie noch mehr solcher Zeugen?! Im schlimmsten Fall wird das hier sehr teuer – für sie!“. „Ich versichere ihnen: ich hab‘ mich mit meinen Zeugen nach der Tat unterhalten und alle waren sich sicher, dass die Scheibe schon vorher kaputt war, es, … es ist einfach zu viel Zeit vergangen, nehme ich an.“. „Na gut, zwei haben wir noch. Ich rufe Matthias Hansen in den Zeugenstand.“. Endlich, Hansen. der hatte mich noch nie im Stich gelassen.
Hansen setzte sich in den Zeugenstuhl und grinste mich an. So als wolle er sagen, „Gyle, lil‘ MC, wir jetzt hier voll fett im Gerichtssaal, Swag Alder! Wie im Fernsehen.“, ich nickte ihm zu und gab ihm mimisch zu erkennen, er soll sich bitte konzentrieren und den Richter angucken. Was er nicht tat. „Wie heißen Sie?“. „Matthias Hansen.“, Hansen guckte noch immer in meine Richtung, „Und wie alt sind sie?“. „Habe ich doch gerade gesagt: Matthias Hansen.“. „Herr Winks, ich breche das hier gleich ab, das ist ja wohl, …“, „Hansen, er wollte wissen, wie alt Du bist! Und jetzt reiss Dich bitte zusammen und guck ihn an!“. Hansen bestätigte, dass die Scheibe bereits vorher einen Riss aufwies. Er hätte es gemerkt, weil er mehrfach mit irgendwelchen „Babes“ (aka „Supereinsen„) direkt vor der Scheibe herumgemacht hätte – und der Riss hätte ihn da schon immer gestört. Dass er es auch nicht einmal nur schaffte, sich nicht als Supergrätscher aufzuspielen… wie auch immer, das war jetzt wichtig. Dann noch Aehne.
„Herr Göbling, sie sagen, sie saßen 3m entfernt von der Treppe, als der Müllsackständer umgeschleudert wurde, was sie aber nicht sahen. Wie können sie dann behaupten, dass die Scheibe nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde wie die Lottozahlen von einer übermotivierten Moderatorin?“. „Ich hörte es, der Eimer flog gegen eine Mauer.“, „Wie, … wie kann man das hören?!“. „Ja was woooohl?! Scheibe, Gemäuer – anderes Geräusch!“. Mit dieser erstklassigen, physikalisch einwandfrei ausformulierten Style-These wurde die Zeugenanhörung geschlossen. „Herr Winks, wir beraten uns jetzt, bitte lassen sie uns eine halbe Stunde Zeit, die Verhandlung wird um 11.30h fortgesetzt.“.
Mein Anwalt schaute mich an, als hätte ich eine eher unclevere Ausgabe der Waltons in den Zeugenstand zitiert. „Was waren denn das für Flaschen? Die ersten beiden machten einen Eindruck auf mich, als könnten sie keine Banane schälen. Dann dieser Junkie mit der roten Birne, der war doch high wie die Zugspitze!“, „Ja, ich weiß auch nicht.“, sagte ich, guckte durch die verglaste Treppenfront in den unteren Bereich des Gerichtsgebäudes und sah, wie sich Schümi und Boschke gerade ihre Zeugenentschädigungs-Pauschale auszahlen liessen. Ich war am Arsch wie Proktologen, nur ein Wunder würde mich jetzt noch retten können, so eine Blamage. In dem Moment wusste ich, wie sich zu unrecht eingesperrte Justizopfer nach 10 Jahren Haft im Hochsicherheitstrakt fühlen müssten. Ich hatte überhaupt nichts gemacht und werde jetzt im schlimmsten Fall eine 3.500DM-Glasscheibe bezahlen dürfen? Offenbarungseid mit 19? Vielleicht wäre das wenigstens ein neuer Weltrekord.
Um halb zwölf gingen wir also wieder in den Gerichtssaal. Folgendes wurde mir da erzählt (ich habe tief gegraben, habe aber tatsächlich die originalen Schriftsätze von 1993/1994 gefunden):
Ihr seht den Absatz 2? 1.000DM hatte ich am Ende zu zahlen, in drei monatlichen Raten à 2×300 und 1x400DM – und das bei einer Auszubildendenvergütung von 700DM, zum Glück wohnte ich noch zuhause. Ein Taui – für nichts! Ich konnte denen 100x sagen, dass ich damit nichts zu tun hatte, meine Zeugen waren leider so unsouverän (bis auf Aehne, Props nochmal!) und unglaubwürdig, da war nichts mehr zu machen. Dazu kam, dass mein Anwalt eine Pfeife in Tuba-Größe war und dass ich damals nicht nicht Kiels liebster Sohn war – heute läuft sowas würde sowas natürlich anders laufen. Was ich eigentlich mit dieser Anekdote sagen wollte: Hansen, Schümi (Boschke R.I.P.) und Hahn, ich bekomme jeweils 333DM, also sagen wir 150€ von Euch. Dann kann ich endlich mit dieser Sache abschließen; in dubio pro reo, motherf*ckers.
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[Ich fliege heute erstmal nach Hong Kong, dann weiter nach Südaustralien. Melde mich von unterwegs, hier geht’s natürlich Danke meiner großartigen Co-Blogger trotzdem weiter – Peace.]
Bäääm – wieder einmal sehr gut zu lesen um ein Schmunzeln in den Techniker Schultag zu integrieren! That’s the Shit i like – naturally nicht das du blechen musstest aber deine Schreibe !
Mehr von solchen Stories!
Grüß mir Adelaide!
Geiles Dingen:)
most dope!
Deine erste Gerichtsverhandlung. Wie viele gab es denn inzwischen? Böser Bub…
Danke fürs Teilen. Die Aufheiterung hab ich gebraucht.
Haha, wie krass! Dass dir das nicht vorher klar war, dass deine Zeugen ziemlich problematisch sein würden… :D
DER Vergleich des Tages: „Hahn, der weiter neben sich stand als ein geklautes Gepäckstück“
Ich liebe es! Aber nicht nur die Vergleiche, sondern auch alles andere an deinen Texten.
Bemerkenswert finde ich, Einblick in einen „solchen“ Menschen zu bekommen, der sich z.T. so benommen hat, wie du es tatest. Ich hätte nie auf den Bistrotischen getanzt (oder andere Aktionen, die schon Teil deiner Erzählungen waren, gebracht!) und hätte so jemanden immer für nicht zurechnungsfähig erklärt. Doch hier merkt man ja immer wieder, was für ein relativ reflektierter Mensch du bist. Sogar in den Situationen, während du sie erlebst, bist du nicht ganz unreflektiert – aber tust es trotzdem. Kann man das erklären? Ich kann es selbst nicht.
Krasse Story bzw noch heftige Zeugen. Ich mein mit denen hätte ich danach kein Wort mehr gesprochen. Denen sollte doch klar gewesen sein, das es keine Privatparty sondern nen Gericht ist.
gemein! aber: man sollte auch mit freunden nie in den club gehen. man sollte überhaupt alle freunde mit der kneifzange in die scheiben schmeissen..! oder so.