Lehrjahre sind keine Herrenjahre, heute: Halle 3
Als ich Anfang der 90er meine Ausbildung in einer regionalen Großhandlung für Baubedarf begann, wurde ich als einer von acht Auszubildenden direkt ins Lager gesteckt. Zu der Zeit wusste ich noch nicht, dass a) die Azubis hier trotz Ausbildung zum Kaufmann 2 Jahre Lagerarbeit zu absolvieren hätten und b), dass das Warenausgangslager mit dem Namen „Halle 3“ der inoffizielle Himmel sämtlicher Lagerarbeitsplätze sein würde, denn hier chillte man mehr als Winston Church im Spa-Bereich. Von den 8 Stunden des Arbeitstages spielte man mindestens 3 Kniffel, 2x täglich schauten die Werkstattbrüder vorbei und brachten Getränk mit und an den mit „g“ endenden Wochentagen wurde kurz vor Feierabend in der Halle aus Türelementen ein Parkour aufgebaut, durch welchen die Mitarbeiter auf einem Hubwagen gegen die Uhr zu cruisen hatten („Lagerspiele ohne Grenzen“). Leider brach ich mir in den ersten Wochen den Unterarm (auf einer Party; ich vermute jedoch, das Gelenk war durch die tägliche Würfelbecher-Benutzung bereits vorbelastet), weshalb ich nach nur 3 Wochen versetzt wurde.
Ich kam also in ein anderes Lager, in den vorderen Verkaufsbereich. Dort würde ich zwar auch schweres, angeöltes Maurergelöt mit Gipsarm über den Tresen reichen, aber immerhin keine Türen stapeln müssen – ich sollte mich halt einfach nicht so anstellen. Wehmütig schaute ich auf die Zeit in der Halle 3 zurück, mit meinen Vorgesetzten im Verkaufslager war weniger gut Kirschen essen als mit Fruchtphobikern. Ich besuchte also hin und wieder die alten Kollegen, war dort aber nicht mehr so gern gesehen. „German,“, so mein Spitzname damals (mein Nachname, Ihr wisst schon), „geh‘ zurück und verklopp‘ Stahlkappenbotten oder Wasserwaagen – aber egal, was du tust: kein Wort übers Kniffeln oder die Lagerspiele!“. „Äh, nein. Natürlich nicht. Aber darf ich eine Runde mitsp“, „NEIN! Und nun geh‘!“. Jeder Nicht-Hallen 3’ler war ein vermeintlicher Spion, ich war draußener als Veh. Zurück im Verkaufslager gab’s dann auch noch spott, „Wo warst du denn schon wieder, German? Armdrücken?“, alle lachten. Ich guckte auf meinen Gips, langsam fing er zu riechen an.
Um 7:15h war Schichtbeginn, kam man als Azubi auch nur 2 Minuten zu spät, wurde man nicht nur mit „MAHLZEIT!“ begrüßt, man wurde regelrecht angeschrien. „MAHLZEIT!“. In der Halle 3 machte man sich nicht so viel aus Pünktlichkeit – Hauptsache, der Lagerchef hatte 2 Mann zum Daddeln und einen zum Kaffeekochen. Mein Ausbildungskollege spendierte mir täglich eine Cola aus Dankbarkeit für den Personaltausch, „Oh man German, ich weiß gar nicht, wie ich das wieder gutmachen soll! Halle 3 ist ein Traum, gestern 50 Mark beim Quartern gegen Achtmann aus der Werkstatt gewonnen!“. Kunststück, Achtmann hieß eigentlich Ahlmann, seinen Spitznamen bekam er nach dem Verlust von Daumen und Zeigefinger der rechten Hand – versucht Ihr mal, mit Mittel- und Ringfinger Geldmünzen zu schnippen.
Nach einem Jahr stand dann wieder eine Versetzung an. Jeder betete, in die Halle 3 versetzt zu werden. Ein Woche vor dem Wechsel hatte ich privat erneut Pech: ich riss mir das Außenband des linken Fußes (auf der Flucht, ich vermute jedoch, der Knöchel war von den Lagerspielen vorbelastet). Ich wurde operiert und bekam eine anschließende Krankengymnastik, nach meiner Rückkehr wurde ich ins Außenlager, den „Hof“, versetzt und sortierter Stahlrohrstützen. Mit dem Gabelstapler fuhr ich hin und wieder zur Halle 3, wo man mich erneut nicht sehen wollte. Den Stapler schon, man hatte den Parkour inzwischen ausgedehnt. Mahlzeit.
Viel Spaß wenn du das nächste Mal vorbei schaust. Vielleicht gibt dir Mercedes für den Fahrtweg ja einen aus.
„…denn hier chillte man mehr als Winston Church im Spa-Bereich“
verdammt raffiniert. ;-)
Muha…
Wie sehr ich diesen Satz HASSE: „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“.
-> 3 Jahre neben dem Studium im „Möbelladen“ dauernd gehört!
-> 2 Jahre bei Festanstellung gehört
-> and counting…
Irgendeine Idee, wann das mal aufhört? Ich glaube noch einmal diesen Satz und ich greife zu Gal´s Erfindung.
@Electrolotion
einziger Ausweg: Faulancer ;)
Hubwagen? Keine Staplerrennen im Hochregal? Ah, dachte auch schon ,)
Nice one, German! *lol*
Heute morgen schon gelesen, aber keine Zeit gehabt zu kommentieren (mußte unbedingt raus bei dem Wetter – voll geil). Hubwagen-Rennen kenne ich aus meiner Jobbing-Zeit neben der Schule. Ach, das war ne geile Zeit. In der Nachtschicht schön neben dem Altpapier-Container gegrillt usw… *schwärm*
Quartern führe ich demnächst erstmal im Sportunterricht ein!
lieber herr winkel, „der junge mc“ laesst die woche gut starten, chillen mehr als winston im spa-bereicht braucht noch einen moment, aber gut ; ) frohlichen wochenstart
nice! :-)
Arm gebrochen, Band gerissen, werter Herr Winkelsen,
dazu Ihre Sehschwäche. Hätte man Sie nicht nachträglich ausmustern müssen?
Herzlich
Ihr Schoss