Mein erstes Mal Ausnüchterungszelle

Wie einige von Euch wissen, bin ich in der Kieler Hood (Kiel-Mettenhof) aufgewachsen und wie es sich für einen echten O.G. nunmal gehört, muss man mindestens 1x im Leben im Knast gewesen sein. Na gut, eine Ausnüchterungszelle ist jetztt nicht unbedingt ein echtes Gefängnis, aber wir waren ja auch keine echten Gangster, eher so die gepflegten Proll-Popper. Wir persiflierten die Straßengangs eigentlich eher, das aber leider so gut, dass diese uns ernsthaft verfolgten. Statt mit Dope zu handeln rauchten wir es lieber und unsere Einheits-Bomberjacken waren auch mehr so die seinerzeit höchstmodernen, bunten Diesel-Jeansjacken, aber: es war die Hood. Wenn Du als junger Mensch in Compton lebst, musst Du auch einsitzen, um deinen Respekt zu bekommen – egal, wie gut die Haare liegen.

Nach einem erfolgreichen Abend in unserer Lieblings-Jugenddisco (dem „Ströhemann-Brinck“) marschierten wir zu Fuß den weiten Weg von der Innenstadt in die Vor-Hood (Kiel-Hasseldieksdamm). Die Disco endete um halb eins, unser Durst erst gegen 5.00h, somit taperten wir samt weiblicher Fancrew jeweils zu zweit an einem Bierkasten durch die Nacht, nicht selten wurde hierbei gesungen. Jaypee, ein Homie unserer damaligen Paderborner Ruler-Gang, wohnte in der Hofholzallee. Seine ELtern hatten dort ein freistehendes Haus und die Nachbarschaft offensichtlich einen leichten Schlaf, denn während wir mittellautstark und von ständigen Bierpausen begleitet durch die Straße zogen, kam es zwei Mal zu einem Aufeinandertreffen mit der Exekutiven, die unsere Personalien festhielt und uns aufmerksam machte, dass man beim nächsten Mal handeln müsste, was insbesondere ich ein wenig unterschätzte. „Herr Wachtmeister, die Leute können doch morgen schlafen, ist doch Sonntag! Wir wollen feiern!“, sagte ich und stimmte erneut „Ihr seid Bayern“, ein Lied über alternative Übernachtungsmöglichkeiten bajuvarischer Fußballfans, an. „Na Du bist ja ein ganz Gewiefter, hm?! Deine Visage merk‘ ich mir!“, sagte der Herr in grün und verschwand. Erstmal.

„Asoziale Baaayern! Ihr schlaft unter Brüüücken, oder in der Baaaahn-hofs-mission!“, sangen wir auch eine Viertelstunde später noch. An sich hatte ich nie etwas gegen die Einwohner Bayerns, nicht einmal gegen den FCB. Aber in der Hood war man HSV-Fan, alles Andere wurde nicht geduldet. Außerdem gefiel mir die Melodie des Songs, es handelte sich um Bonnie Tylers „Heartache“ (ich hab‘ hier mal zur Hook vorgespult). Aus literarischer Sicht hatte unsere Version wesentlich mehr Substanz und Esprit, aber das versuch‘ mal einem aufgebrachten Jungschergen zu erzählen, der inzwischen das dritte Mal aufgrund nachbarschaftlicher Anrufe hinausgeeilt kommen musste. „Du kommst jetzt mit, mein Freund!“, „I-i-ich hab‘ doch gar nichts gemacht! Wir feiern doch nur!“. „ABER ZU LAUT!“. Einmal die Acht auf dem Rücken und im Peterwagen hinten links, eigentlich wollte ich doch noch mit Tanja fummeln.

Polizeiwache Falkstraße. Nach 10 Minuten öffnete sich die Zellentür, silhouettenartig erkannte ich einen Mann mit Koffer, der sich als Arzt vorstellte und sich nach meinem Befinden erkundigte. „Danke, gut. Der Wachtmeister meinte vorhin sogar, mir ginge es etwas zu gut.“. „Na dann gute Nacht.“, der Mann mit Koffer verschwand wieder, diese Cameo sollte später noch mit 200 Extra-DM zu Buche schlagen (insgesamt kostete mich der Spaß dann 270DM). Nach drei Stunden durfte ich dann gehen. Wieder zu Fuß, jedoch ohne Bierkasten und auch nicht mehr so in Sangeslaune. Zurück in die Hofholzallee, die Jungs (und Tanja) würden hier sicherlich noch kräftig feiern.

Leider täsuchte ich mich auch hier. Jerry schwamm nackt im Pool, Todden versuchte währenddessen mit dem Strahl des Wasserschlauches ins Körper-mittige Bullseye im unteren Rückenbereich zu treffen, beiden lachten dabei semidebil. „Jungs, wo ist der Rest? Insbesondere: Tanja?“. „Die meisten sind schon los, aber Tanja ist noch da,“. „Oben bei Jaypee?“. „Eher unter Jaypee!“, Jerry und Todden lachten weiter, „los Todden, nochmal Bullseye!“, rief Jerry und drehte sich wieder um. Unter Brücken, in der Bahnhofsmission oder in der Ausnüchterungszelle – rückblickend hätte ich mich wohl bajuvarisch entschieden.

Kommentare

21 Antworten zu “Mein erstes Mal Ausnüchterungszelle”

  1. Hendrik sagt:

    Endlich mal wieder was vom Young MC! Ganz ehrlich, dat ward aber auch mal wieder tied!
    Und das Bayern-Lied hab ich früher auch immer mitgegröhlt, allerdings nur im Stadion.

    Danke für einen guten Start in die Woche.

  2. Arne Krasemann via Facebook sagt:

    Proll Popper: Wildleder DocMartens,grüne Diesel Jeans,beige Dieseljacke, blauer Replay Pulli-klein Arne 1992 im Ströh

  3. TG sagt:

    Haha, das Bonnie Tyler-Lied kennt man natürlich, die Bayern-Version ist mir neu. Schöner Bericht aus der Jugend. Solche oder ähnliche Erfahrungen haben bestimmt viele von uns gemacht (ok, vllt. nicht unbedingt bis zur Ausnüchterungszelle…). Erst im Nachhinein wird einem bewusst, dass solche Nächte nur für Seinesgleichen so witzig waren. Nicht aber für Anwohner und die Leute in grün (die ja inzwischen immer häufiger in blau daher kommen).

  4. Scholli sagt:

    Solange Sie nicht in einer fremden Stadt mit einem Toastbrot als Kopfkissen in der Mitte eines Kreisverkehrs wach werden, ist ja alles gut, Herr Winkel.

  5. singhiozzo sagt:

    Endlich mal wieder eine Young MC Story. Sehr gut, hab ich gebraucht heute morgen – ganzes Wochenende Messe! Super, zum Glück ist bald Ostern!

  6. Jerry B. Anderson sagt:

    great classic. den pool werde ich nie forgetten. ich konnte auch nicht outside weil ich mir nen half harry dean geshaked hatte. dann ließ ich noch den waterhahn on und der nachbarsgarten wurde overswimmt. aber sonst war doch alles normal gemaked. :-) An Tanja pultest du doch later nochmal on, oder? kann mich not walknau remembern.

  7. Tarek sagt:

    Pics (vom Bullseye) or it didn’t happen! ^^

  8. Gilli Vanilli via Facebook sagt:

    Sehr gut :-)

  9. Andre sagt:

    Im Trend war damals auch: „Wir sind schlau, wir sind Fans vom HSV!“ :-)

  10. Dough E. Fresh sagt:

    270DM? Als damals noch Schüler? Wie hast Du das gemacht?

  11. Kaal sagt:

    In ’nem „echten“ Gefängnis wäre zumindest das Fummeln inklusive gewesen.

  12. rudeboy sagt:

    Ich bin entzetzt!!
    Wie kann man DAS Lied nur mit Bayern singen??

    http://www.youtube.com/watch?v=pN4wQrnF1HQ&feature=related

    Auf den Schreck erstmal ein Pb Export:)
    Gruss rudeboy

  13. rudeboy sagt:

    Und bevor ich es vergesse:)
    „Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg! Nie wieder 2. Liga!“ Volker Ippig

  14. MC Winkel sagt:

    @Hendrik: Ja, sorry, ist lange her – aber ich war unterwegs; Beweis-Vlog folgt die Tage! :)
    @Arne Krasemann via Facebook: Bei mir waren’s normale Martens, optional Martens-alike Schuhe in Opa-Optik, jedoch mit Stahlkappe, rote Dieses, weiße Diesel-Jeansjacke, blauer Chiemsee-Pullover (die konnten auch was!) und als Highlight: blaue Brille! :)
    @TG: Also ich hatte die Besonderheit dieser Momente damals direkt gespürt! :)
    @Scholli: Was war DA denn los, Frau Scholli?!?!
    @singhiozzo: What a messe! :)
    @Jerry B. Anderson: Naja, so halb. Aber es ist nicht die, an die Du vllt. gerade denkst! (Hieß „in echt“ anders. Tanja Anders. :))
    @Tarek: Musst Du Jerry fragen. Oder Todden. :)
    @Gilli Vanilli via Facebook: Danke!
    @Andre: Fjeden! Und natürlich der „Hamburger Hooligans“-Shalalalalinski. :)
    @Dough E. Fresh: Ich war gerade in der Ausbildung. Aber Du hast recht, leicht war das nicht. Hab ich 3 Raten bezahlt (echt!).
    @Kaal: Sehr gut! :))
    @rudeboy: Auf jeden Fall! Das haben 2-3 Homies direkt aus der Westkurve (Block E) mitgebracht, wir sangen monatelang nichts Anderes! :) Die Ippig-Nummer hingegen kenn‘ ich nicht…

  15. shinix sagt:

    herrlich! made my day. sehr gelacht

  16. rudeboy sagt:

    @geschätzter Mc Winkel
    Volker Ippig, die ikone des Fc Stpauli
    http://de.wikipedia.org/wiki/Volker_Ippig

    Unsere eigene Lobhudelei zum Schmähgesang gemacht, Pfui:)
    http://www.youtube.com/watch?v=MUEwZxcjkPY&feature=player_embedded

    WIR sind die Zecken^^

    Gruss rudeboy

  17. Dough E. Fresh sagt:

    @mcwinkel: hahahahha, großartig. Was haben Deine Eltern dazu gesagt?

  18. Scholli sagt:

    Och. It wasn’t me, Herr Winkel. Ich war war nur an der Herstellung des Zustandes beteiligt, in dem man sich zum Schlafen in Kreisverkehren ablegt und am nächsten (sehr frühen) Morgen die Freundin (mich) anruft und in unverständlichstem Walisisch (für mich) die Abholung vom Schlafplatz einfordert. Für mich war das nur das erste Mal Autofahren und Absuchen von Kreisverkehren nach dem abgängigen Partyhengst in London. ;-)

  19. axenon sagt:

    Ja ja, so war dat damals……. Lame on Rule!

    Schönen Start in die Woche und vergess die Verlosung nicht

    oder is das Ding schon durch??!

    Grüße zu Dir mein Bester, Hold it UP!

    C.

  20. Perot sagt:

    Mann, ward Ihr ’ne verrückte Truppe. Kannst die Schoten bald als Buch rausbringen, mit Jerry als Co-Autor. Oder noch besser: Verfilmen. Idealerweise an Originalschauplätzen. Dagegen wäre Jack Ass kalter Kaffee. ;-)

  21. Aehne sagt:

    War ich nicht dein Anwalt? Oder war war das, als Stasen „eingefahren“ ist?

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