Unguis incarnatus 2002

Eine weiteren, sehr bizarren Außentermin in meiner Funktion als Vertriebler im Außendienst hatte ich im Frühling 2002. Offensichtlich hatte die Firma in Kiel diverse Niederlassungen, den Hauptsitz jedoch etwas weiter außerhalb der Stadt („Klaudorf“, ftwk) und irgendwie sah mir dieses freistehende Einfamilienhaus auf den ersten Blick auch sehr … privat aus. Es war mein erster Termin nach dem Mittag, muss irgendwas um 14.00h herum gewesen sein, ich wie damals üblich im reduzierten flotten, dreiknöpfigen Zweiteiler (schwarz). Naja, und die Kunstledermappe, die man mir als Ledermappe verkaufte, was aber aufgrund meiner optisch ohnehin dominierenden Gesamtpeinlichkeit letztlich völlig egal war. An der Tür sah ich neben dem privaten Namensschild ein weiteres, kleines Goldschildchen mit dem Firmennamen. Hier war ich also richtig. Eigentlich aber auch nicht.

Sagen wir so: Faulancerism in allen Ehren – aber ob man bei erwarteten Vertreterbesuchern am Nachmittag im Bademantel und mit zerzaustem Haar an die Tür kommen muss, weiß ich jetzt nicht so genau. Natürlich hätte ich nie etwas dagegen gehabt, wenn die Kundin die Mittzwanzigjährige Domenica Przybylski mit einem durch Frontalübergewicht ausgelöstem Haltungsfehler wäre. War sie aber nicht. Stattdessen stand da mehr so der Hans-Werner Oltzkamp, Mitte 50, mit eingewachsenen Zehnagel, der mich aus leicht zerfledderten Adiletten begrüßte. „Ach ja, sie sind’s. Das war ja schon heute!“. „Wenn’s nicht passt, komme ich halt ein anderes Mal wieder – wirklich kein Problem!“, was ich durchaus ernst meinte. „Scheiß‘ der Hund drauf, komm rein!“. Kam ich. Und sah einen Fernseher in der Größe Zentralafrikas, dafür allerdings auch tiefer als der Marianengraben – vor 8 Jahren war das ja noch nicht so mit Flunderglotzen und so. „Mensch, das ist aber ein ordentliches Gerät!“, staunte ich. „Und mein Fernseher erst! HAHAHA!“ (bitte ungefähr so vorstellen). Aber dass es sich um einen Witzbold handeln müsste, zeigte mir bereits seine Inneneinrichtung. Und dann stand da noch diese Rolle Toilettenpapier neben seinem Notebook, was ich ja nicht näher erklären muss. Aber immerhin wusste ich nun, dass ich ihm zum Abschied lieber nicht die Hand geben würde.

So saßen wir also da im Wohzimmer und besprachen die verschiedensten ISDN-Tarife, als ich für einen Moment unaufmerksam war, um mentales Blitzgebet gen Himmel zu schicken: um Alles in der Welt – lass‘ es nicht seinen linken Hoden sein, der da plötzlich aus dem Badenmantel lugte! Ich erklärte gerade die Auslandstarife (Tschetschenien interessierte ihn), als er aus heiterem Himmel ein „Du kokst doch!“ in den Raum warf. „Ich, … also ich … nein! Wie kommen sie darauf?!“. „Ihr Anzugträger aus der IT-Branche kokst doch alle, guck‘ dir nur Gerhard Schmid an! HAHAHA.“. „Also ob Herr Schmid kokst, vermag ich jetzt nicht beurteilen zu können – ich tu’s auf jeden Fall nicht!“. „Ach komm schon, so wie Du Dich ausdrückst?! Zeig mal her, BOSS?“, er fing an, mir am Sakko herumzuzippeln. „Nun hören sie mal…“, „Ja was denn? IST DAS NUN BOSS ODER WAS?“, er wurde etwas lauter, aggressiver und wollte um Gedeih & Verderb den Namen meines Schneiders haben. „Nein Mann, das ist C&A!“. „HAHAHA.“.

Immerhin zeigte er sich Abschlussbereit, vielleicht würde ich mir im Folgemonat dann aufgrund dieser Provision mal einen richtigen Anzug kaufen können. „So, nimm‘ mit die Vertäge. Aber jetzt sag‘ die Wahrheit: Du kokst!“. „Nein! Ich rauch‘ noch nichtmal Gras!“. „HAHAHA.“. Öfter ausgelacht als ich an diesem Nachmittag wurde wohl nur Lothar Matthäus. Als ich ging, schaute ich noch kurz durch’s Küchenfenster und sah, wie Oltzkamp mit seiner Sparkassen-Karte aus Puderzucker Buchstaben formte. Krasser Typ.
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[Eigentlich müsste ich den hier vertonen, mal sehen. Morgen gibt’s auf jeden Fall erstmal wieder einen neuen MC Winkel-Film, geil. Und ein MacBook Pro könnt Ihr auch immer noch gewinnen, nutzt die letzten 2 Tage!]

Kommentare

20 Antworten zu “Unguis incarnatus 2002”

  1. honki sagt:

    Junge Junge, Außendienst ist echt ne harte Welt für sich. Wir hatten früher ja auch mal sowas wie ein Support-Team welches Hausbesuche gemacht hatte wenn es mal irgendwo geklemmt hat und stieß man dann auch schon mal auf derbe Dinge, aber die Nummer ist schon echt übel.

  2. […] Dieser Eintrag wurde auf Twitter von MC Winkel erwähnt. MC Winkel sagte: Neues Blogposting: Unguis incarnatus 2002 http://bit.ly/9RKaXS […]

  3. jimmy sagt:

    Winkelsen! Wer so viel geilen Scheiß wie du erlebt hast, kanns sich echt leisten mit Mitte 30 (war doch so?) sein Faulancer dasein zu starten. Echt urgeile Geschichten ;)

  4. honki sagt:

    Achja und wer er so gelacht hätte, wäre ich vermutlich hinter dem nächsten Schrank verschwunden um mein dickes Grinsen zu verbergen :D

  5. Toby sagt:

    „durch Frontalübergewicht ausgelöster Haltungsschaden.“ Das hat meinen zu frühen und grauen Montagmorgen versüßt. Wieder geile Story! Und MC, hab zugenommen übers WE….damn it!

  6. Torsten sagt:

    Ich schätze, die Klangfarbe des Lachens war hoffentlich eine andere. Sonst wieder mal eine sehr geile Story. Ach übrigens: ICH HAB URLAUB TADA TADA

  7. denzel sagt:

    wie teuer war denn so eine minute tschetschenien, winkelsen?

  8. xxHunter sagt:

    Geil!

  9. ekrem sagt:

    „Hier war ich also richtig. Eigentlich aber auch nicht.“ – best!

  10. Dave sagt:

    Ohje, als Vertreter ist man nicht zu beneiden – wobei man es in jeder Branche wohl mit derartigen Zeitgenossen zu tun hat. Die Geschichte ist auf jeden Fall amüsant zu lesen, auch wenn es in der Situation sicher nicht ganz so lustig war. Wenigstens hat er aber einen Vertrag abgeschlossen, es wäre ja wirklich ärgerlich gewesen, wenn dann nicht einmal eine Provision dafür raus gesprungen wäre, das man das erträgt.

  11. paradalis sagt:

    Lustig.
    :-)
    Das erinnert mich an eine Begebenheit vor gefühlten 90 Jahren (es waren ca. 10 reale), als ich einen Kundenbesuch tätigen musste, weil seine Versicherungen ausliefen.
    Der Kunde – Format Wildecker Herzbube – öffnete mir …. naaaaaa??
    Splitterfasernackt.
    !!!
    Vor Schreck fiel mir mein Handy aus der Hand und auf den Boden. Schön, wenn man sich vor einem nackten Fleischberg bücken muss. Gut nur, dass da nix, aber auch gar nix zu sehen war, als meine Augen unwillkürlich an seiner Gestalt hängen *g* blieben.

    Tja.
    Das Vertreterleben ist nicht einfach.
    :-)

  12. N internatioale sagt:

    K…dorf ??? Oh je, hoffe, dass war nicht nen Verwandter einer deiner Bandkollegen. Habt Ihr euch gestritten, dass Du nun mit Tiefschlägen unter die Gürtel-Linie auspackst ? Zumindest ist die Wahrscheinlichkeit verdammt gross, denn Inzucht aufm Dorf wurd in der letzten Generation ja noch recht Groß geschrieben, so dass ja fast jeder mit jedem da um 3 ecken verwandt is … ;-)

  13. Erdge Schoss sagt:

    Solange Sie, werter Herr Winkelsen,

    keine Adiletten zum Zweiteiler trugen, ist
    dagegen doch nichts einzuwenden!

    Herzlich
    Ihr Erdge Schoss

  14. KleinesF sagt:

    ist aber auch ein hartes Geschäft.

  15. anonym sagt:

    Das Benehmen des Menschen war natürlich nicht korrekt.

    Und dennoch: Als ich vor einiger Zeit einen Bekannten auf die Geschichten hier hinwies (die er kannte), sagte er spontan: MC Winkel -das sind doch typische Kokser-Geschichten, die der schreibt. Also, sorry, ich kann das überhaupt nicht beurteilen. War aber wirklich so.

  16. MC Winkel sagt:

    @honki: Vor allen Dingen gehste von sowas ja auch nicht aus. So im Geschäftskundenbereich. :) Und der Jamaica-Boy: den hatte ich hier auch mal. Super! :)
    @jimmy: Oder? :) Seh ich auch so…
    @Toby: Danke! :)
    @Torsten: Alles gute zum Urlaub, Herr Luttmann! Malle?
    @denzel: weiß ich nicht. Stand in den Flyern. Irgendwo. :)
    @xxHunter: Dange.
    @ekrem: Epic! :)@Dave: Sehen Sie! So meinte ich das!
    @paradalis: Oh, gute Idee!! Meine Versicherungsvertreterin kommt nächste Wochen. Rührup. Dann weiß ich ja jetzt Bescheid! :)
    @N internatioale: Stimmt überhaupt. Ich muss Gürtelsen mal fragen, den Typen kennt der doch bestimmt.
    @Erdge Schoss: Nur in der Mittagspause, Herr Schoss!
    @KleinesF: War. :)
    @anonym: Ich zünd‘ mir vielleicht manchmal einen Stick an, aber mit Yayo hab‘ ich nichts am Hut. Habe ich übrigens auch nicht vor, bin so schon durch genug. :) Aber super ist: „Das Benehmen des Menschen war natürlich nicht korrekt.“ Hihi… :))

  17. paradalis sagt:

    Hihi. Rürup dauert eine Ewigkeit. Du wirst frieren, wenn du nix am Leibe trägst. *g*

  18. MHW sagt:

    Nette story, aber: Eingewachsene Fussnägel sind nur was für Feinschmecker, nicht so mein Ding, wie ich zu sagen pflege.
    War es der alte …terbeck? Kennst den noch? Er ist/war ein sunny!

  19. Immerhin verkauft ;-)
    Wie immer schön geschrieben.
    Gruß
    Fulano

  20. grievedesign sagt:

    Oh sch… – da ham`se sich`s Faulancer-Dasein redlich verdient, Hr. MC

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