Winkelsen macht blau

(„Lehrjahre sind keine Herrenjahre II“)

Es war mal wieder ein Montag. Montage waren während meiner Ausbildungszeit immer die schlimmsten Tage, denn seinerzeit wurde das Wochenende ja immer schon am Mittwoch Abend („Bergfest“) eingeläutet und hörte meist erst am Sonntag in den frühen Morgenstunden auf. Und dann noch die anstehende Klausur in Rechnungswesen, für die ich weniger tat als rard Depardieu für Haarpflege. Ich beschloss also, lieber liegen zu bleiben.

In der Berufschule war man besorgt. Der Herr Winkelsen fehlte nun schon die dritte Woche in Folge und man hielt es für angebracht, sich hierüber einmal im Lehrbetrieb zu informieren. Und auch dort fing man offensichtlich an, sich Gedanken bezüglich meines gesundheitlichen Zustandes zu machen; außerdem wollte man wohl auch sicherstellen, dass bei mir nicht unbemerkt der Schlendrian Einzug halten würde. Kurz: mein damaliger Ausbildungsleiter rief vormittags bei mir zuhause an. Das passte mir aus zwei Gründen nicht: zum Einen wollte ich ja ausschlafen und zum Anderen hatte ich mir noch gar keine passende Ausrede ausgedacht. Den Weisheitszahn- und den Sehnenscheidenentzündungs-Joker hatte ich bereits gezogen und wenn ich meinem Arzt noch einmal mit einer vermuteten Gastritis kommen würde, droht er mir wieder mit Spiegelungen. Ich beschloss also an diesem einen Montag, nicht ans Telefon zu gehen. Und weil mein penetranter Ausbildungsleiter auch nach 20x klingeln nicht daran dachte, aufzulegen und es vielleicht am Nachmittag noch einmal zu probieren, erstickte ich den Klingelschall in meinem Kopfkissen. Leider rechnete ich nicht damit, durch den Druck des Kissens die Lautsprechertaste zu aktivieren und dadurch eine Verbindung herzustellen. Jetzt war es nicht mehr das dumpfe Klingeln, sondern die dumpfe Stimme des Vorgesetzten. „Halllooooo?!?! Hallo? Na Winkelsen, wieder bis zum Morgen im Far Out getanzt? Halloooo??!?“. Clever wie war, antwortete ich lieber nicht.

Was tut man nun also an so einem sonnigen Montag? Ganz klar: Paternoster fahren! Ich weiß gar nicht, ob ich es schonmal erwähnt habe, aber ich fahre unheimlich gerne Paternoster. Im Kieler Rathaus haben sie einen wunderbaren Paternoster, den kann ich nur empfehlen. Einsteigen und losfahren – und immer wieder diese Spannung, ob man nicht vielleicht doch kopfüber nach unten transportiert wird, wenn man im obersten Stockwerk einfach mal nicht aussteigt. Wahnsinn.

Und dann noch gondeln. Damals™ gab es ja noch diese Gondelbahn, die über dem Kieler Bootshafen zwei Kaufhäuser verband. Einfach mal die Teppichabteilung bei Karstadt links liegenlassen und direkt in die Gondel springen. Dann ganz langsam über die Köpfe der Leute und dem kleinen Kiel hinweg in luftigen Höhen hin- und hergondeln, auch hier: nicht aussteigen, stundenlanges Seilbahnsurfing; das war der wahre Rock’n’Roll! Als es dunkel wurde, fuhr ich völlig erschöpft nach Hause.

Am Dienstag erzählte ich dann etwas von einem defekten Anrufbeantworter und irgendwie interessierte man sich auch gar nicht mehr so wirklich für meinen day-off; ein Außendienstmitarbeiter wurde nämlich am Wochenende mit knapp 2,5 Promille angehalten, wofür sich der Flurfunk gerade wesentlich mehr brüskierte. Grundsätzlich sollte man mehr Paternoster fahren und gondeln, wie ich finde.

Kommentare

25 Antworten zu “Winkelsen macht blau”

  1. suzan sagt:

    paternoster sind echt toll, leider gibt es nicht mehr so sehr viele davon, der paternoster im kreuzberger rathaus wurde in durch aufzüge abgelöst und ich wünsche mir noch heute den paternoster zurück, ein steckenbleiben gab es mit dem jedenfalls nie

  2. Andre sagt:

    Oh ja, die gute alte Gondel aus dem Karstadt-Restaurant einmal über deb Bootshafen, warum haben sie die eigentlich abgeschafft?

  3. djmq sagt:

    Pa-ter-nos-ter!
    Das Bezirksamt Hamburg-Eimsbüttel hat auch einen und ich muss da mal wieder hin, glaube ich.

  4. LorettaLametta sagt:

    Ich hab eine Scheißangst vor Paternostern (Plural so? sieht komisch aus).
    Bei uns im Mutterhaus gibt’s auch so einen. Aufzugbenutzung nur für ausländische Besucher und ab Besoldungsstufe…..naja.
    Jedenfalls ich mal aus dem P. höchst graziös rausgehechtet – halber Meter über Stockhöhe versteht sich – und der Rock war hin. Aber und wie! Seitdem nur noch Treppe.

    Erkrankungen sind nach wie vor die beste Ausrede fürs Blaumachen.
    Besonders überzeugend, wenn der Ehepartner im Betrieb/Büro anruft um selbiges zu vermelden.
    Deshalb Herr Winkel: heiraten Sie endlich!

  5. hoeller sagt:

    Die Seilbahn verkehrte zwischen dem Kaufhaus Weipert und dessem Parkhaus auf der anderen Seite des Bootshafens. Lustigerweise gibt es sogar einen Wikipedia-Eintrag hierüber..
    Für Nostalgiker mal hier lang.

    Cheers
    Hoeller

  6. Ani*ka sagt:

    Paternoster waren bei mir in klein Hauptbestandteil der Albträume. Was gibt es Schlimmeres, als Papa davonfahren zu sehen, und nicht mehr einsteigen zu können. Quasi aus der Familie ausgestiegen zu werden.

  7. Ani*ka sagt:

    ach und früher habe ich von Berufsschulbesuchen geträumt. Die Möglichkeit, endlich mal einen 1,0-Durchschnitt mit links zu schaffen und nachzufühlen, wie verhasste ich-muss-nie-lernen-ich-bin-halt-gut-Streber sich fühlen.

  8. Ich war sieben oder acht.
    Es war Dezember, irgendwann um Nikolaus herum, und ich war mit der Flötengruppe beim Landfrauenverein im Rathaus in Kiel.
    Bei Heide und den andern.
    Da bin ich das erste und einzige mal mit diesem Teil gefahren!

  9. Mone sagt:

    In Süddeutschland bin ich noch nie einem Paternoster „begegnet“ (bzw. ich habe auch noch nie einen gesehen)… hab‘ ich was verpasst?! :)

  10. zoee sagt:

    paternoster ist doch total gefährlich! da kann man doch in den spalt rutschen!

    wir sind früher beim blaumachen traditionsgemäss immer zum monopterus in den englischen garten gegangen. eine ganz pfiffige idee war das, weil das natürlich niemand der lehrer wusste und deshalb auch nie einer, der gerade freistunde hatte, vorbeikam.

  11. Giza sagt:

    Rechungswesen ist ein Arschloch.

  12. >>Zitat sagt:

    Leider keinen Sampler zu Paternoster Patrol von I might be wrong gefunden.

  13. Herr Schmidt sagt:

    Ich bin tatsächlich noch nie in meinem Leben Paternoster gefahren. Erschüttert mich ja schon, dass ich den wahren Rock ’n‘ Roll nicht kenne. ;-)

  14. Erdge Schoss sagt:

    Bei sanften Sportarten wie diesen, werter Herr Winkelsen,
    soll der Geist ja eine unheimliche Kraft schöpfen …

    Und Sie lassen sich da stundenlang durchs Rathaus gondeln?
    Wunderbar!

    Herzlich
    Ihr Erdge Schoss

  15. Scholli sagt:

    Oh Mann, das hab ich mich in der Ausbildung nicht getraut. Ich hatte eine Chefin, die fieser war als ich mir den fiesesten und gemeinsten Spieß bei der Bundeswehr vorstelle. Paternoster und Gondel bin ich auch noch nie gefahren. Es scheint, als hätte ich eine Menge verpasst.
    Sagen Sie, hatten Sie auch immer eine Tüte mit Schulausflugsgummibärchen, Schokoriegeln und Capri-Sonne dabei?

  16. MC Winkel sagt:

    @ suzan: Naja, der im Kieler Rathaus bleibt schon recht häufig mal stehen – aber das ist okay.
    @ Andre: So wie ich das mitbekommen habe, lohnte sich das nicht mehr. Weder für Weipert, noch für C&A. Mehr Infos: s.u., „hoeller“. Und: wo warst Du/ward Ihr am Samstag?!
    @ djmq: Machen Sie das auf jeden Fall!!!
    @ Loretta Lametta: Plural ist richtig! Und gute Entscheidung: lieber Treppe im Rock als Paternoster und Hose. Hochzeit?Aber heiraten ist doch so 1980?!?!
    @ hoeller: Danke für das Recherchieren, super! Wo waren Sie am Samstag eigentlich?
    @ Ani*ka: Also mir passten die Berufschulbesuch halt zeitlich nicht so in den Kram…
    @ Elsa: Aber immerhin BIST Du mal gefahren – das ist alles, was zählt!
    @ Mone: Allerdings!
    @ zoee: naja, soooo schlank bin ich nun auch nicht. Aber die Idee mit dem engl. Garten ist wirklich super!
    @ Giza: Word!
    @ Zitat: „Paternoster Patrol“, :)
    @ Herr Schmidt: könnse mal sehen, nä! In Solingen ist ja wirklich GAR NIX los, doh! :)
    @ Erdge Schoss: bei whudat.de kann man wirklich noch ‚was lernen, nicht wahr, Herr Schoss!
    @ Scholli: Na klar! Wobei ich ja mehr auf Katjes stehe, die weichen Katzenpfötchen und so, Sie wissen schon. Aber Capri Sonne war Pflicht. Oft schmierte ich mir auch noch ein paar Salamistullen. :)

  17. creezy sagt:

    Paternoster sind immer noch großartig (wenn man denn überhaupt noch einen findet). Am spannensten ist es ja «durchzufahren».

  18. Svenniboy sagt:

    Hups, damals™ – auch beim Spreeblick? Warum ™, habe ich etwas verpasst?

  19. Markus sagt:

    Haben Sie Ihre Zivildienstzeit etwa nach Ihrer Ausbildung abgeleistet oder wie darf man das verstehen? ;) Weil Ihre Zivizeit ja 1996 zu Ende war, die Seilbahn aber Ende der 80er stillgelegt wurde…

  20. Andre sagt:

    Also ich war Samstag und Sonntag im Familien-Geburtstagsmarathon, menace dürfte in HH seinen Kater auskuriert haben :-)

  21. der kaiser sagt:

    So ein Teil rockt! Die IHK in Köln hat auch so ein Teil das meist aber mehr kaputt ist als das es läuft… Wenn es sie übermannen sollte Herr Winkel so empfehle ich ihnen dieses hier

    Ich habe das mal zum Geburtstag verschenkt, das kam sehr gut an… glaube ich zumindest

  22. hoeller sagt:

    Leider verhindert…

  23. Tilla sagt:

    FarOut.
    Soso.
    Besser als „Hinterhof“.
    Manchmal.

  24. […] Heute traf ich Jens. Wir lachten über vergangene Tage und analysierten unseren damaligen Ausbilder. Zum Teil machten wir seine faschistoide Vorgehensweise an seinem Äußeren fest; Braun sah aus wie Steve Buscemi, nur ohne Charisma. Dafür aber mit der Frisur von Moe von den Three Stooges und dem Erscheinungsbild einer Weißtanne. Ferner ist bekannt, dass er mit inzwischen 45 Jahren immer noch das schmale Kinderzimmer im Elternhaus bewohnt, dafür aber eine Jahres-Stehplatzkarte für Holstein Kiel besitzt; von seinem harnfarbenen Teint einmal ganz abgesehen. Und irgendwie werde ich den Verdacht nicht los, dass er für den Rest seiner Zeit der Tannentrottel bleibt. Aber das muss ja nichts Schlimmes bedeuten. __ [Weitere “Lehrjahre sind keine Herrenjahre”-Geschichten: 1, 2] […]

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